Interview mit einer Bewohnerin der Siekhöhe

Das Interview findet an einem Sonntagnachmittag, im Mai 2017, in einem Café in der Göttinger Innenstadt statt.

*Die Befragte möchte anonym bleiben und daher ist ihr Name geändert.

Interviewende: Hallo Sarah*, vielen Dank dafür, dass du mit mir über die Lebenssituation in der Siekhöhen-Unterkunft aus deiner Perspektive sprechen möchtest.

Sarah: Ja, gerne.

Bist du alleine in der Unterkunft untergebracht worden oder mit deiner Familie oder Partner*innen?

Ich bin dort alleine.

Aber wie viele Personen sind mit dir derzeit auf demselben Zimmer untergebracht?

Vier.

Ok, also vier Personen. Kanntest du diese vorher?

Nein.

I: Wie viel Platz habt ihr? Also wie groß ist der Raum?

Ähm… 14m²? Ich würde sagen, ja.

Und wie viel Miete musst du zahlen?

Ich glaube 110 Euro. Bin mir nicht sicher, aber das habe ich so gelesen [Anmerkung: Den Betrag überweist wohl das Sozialamt.]

Bekommst du zusätzlich Taschengeld oder Geld vom Sozialamt?

Noch nicht, aber nächste Woche habe ich einen Termin und kriege, … [überlegt] vierzig, jede zwei Wochen vierzig.

Also du bekommst im Monat zusätzlich achtzig Euro?

Nein, mehr. Ich bekomme im Monat um 170 oder 160 Euro.

Wie würdest du das Leben in der Unterkunft allgemein bewerten?

Hm, [überlegt kurz] schlecht.

Was sind die größten Probleme? Warum diese Bewertung?

Ich kann nicht schlafen. [Macht eine kurze Pause und wiederholt:] Ich kann nicht schlafen.

Wie viele Stunden schläfst du denn pro Nacht?

Ich kann nicht schlafen! Ich meine du hörst immer die ganzen Stimmen. Auch von den Kindern dort. Und ich meine ich kann den Leuten dort nicht vertrauen. Ich lebe mit 130 Leuten in einem Haus. Wie soll ich das erklären [überlegt kurz]? Ich kann nie sicher sein, dass nichts passiert, z.B: Jemand klaut mir meine Sachen. Es ist kein Privatleben.

Du kommst einfach nicht zur Ruhe? Gibt es keine Nachtruhenzeiten?

Nein, komme ich nicht. Eigentlich ist Nachtruhe von 22:00 Uhr bis 06:00 morgens, aber trotzdem meinen einige Mitbewohner, solche Regeln nicht einhalten zu müssen. Sie respektieren das gar nicht. Manche hören Musik ohne Kopfhörer oder telefonieren laut. Dazu kommt, dass auch nachts nicht das ganze Licht komplett ausgeht.

Und wie wirkt sich das so am Tag auf dein Befinden aus? Bist du z.B. müde oder unkonzentriert?

Ja, klar.

Gibt es daneben noch andere Punkte oder Probleme? Findest du auch Sachen dafür gut?

[Überlegt kurz] Ja, naja. Es hängt von der Person ab. [Ironisch] Wenn du soetwas [bezieht sich auf ihr Schlafdefizit] gut findest, findest du es eben gut. Außerdem die dort lebenden Kinder, sie haben kein, wie sagt man, „moral-system“. Sie sagen oft beschissene Sachen zu mir, was nicht gut ist.

Du meinst die Kinder, also die Minderjährigen?

Ja, sie sagen „Schlampe“ oder machen so: [Sarah imitiert eine obszöne Geste mit der Hand].

Bist du auch mit Minderjährigen in einem Zimmer?

Nein.

Neben dem Schlafen ist ja auch das Essen ein wichtiges Thema. Entspricht das Essen deinen Bedürfnissen?

Es ist ok. Es ist nicht schlimm. Sie haben z.B. von 08:00 – 10:00 Frühstück. Aber wenn die ganzen Leute [Anmerkung: die Bewohner*innen] schon um 08:00 kommen, schließen sie schon um 09:30. Da gibt es so gesehen dann keine feste Regel.

Kaufst du dir noch viel Essen zusätzlich? Im Supermarkt z.B.?

Ja klar, Süßigkeiten! Den ganzen Tag.

Möchtest du noch was dazu sagen, ob die Essenszeiten mit deinem Tagesablauf abgestimmt sind?

Nun, jetzt ist Ramadan und ich glaube sie haben da was gewechselt. Das Zeitprogramm gewechselt  und das ist nichts für mich.

Also gibt es erst abends Essen?

Ja, nur abends und morgens.

Ok, hast du Lust über darüber zu reden, wie es so mit deiner Selbstbestimmung aussieht? Also darfst du jederzeit Besuch auf deinem Zimmer bekommen?

Ja, schon. Aber nicht übernachten. Ich habe kein anderes Bett.

Und werden die Taschen kontrolliert oder die Schränke im Zimmer?

Ja, manchmal. Also wir haben dazu keine feste Regelung.  Und ja, die Schränke werden kontrolliert. Letztens sah ich in meinem Zimmer einen Mitarbeiter vom Roten Kreuz und eine weitere Frau. Er meinte lediglich kontrollieren zu wollen, ob alles sauber wäre, guckte mich dabei aber komisch an. Ich hatte eben erst meine Augen geöffnet und dann sehe ich einen Fremden,  der quasi über mir steht und mich komisch anguckt. Das war „creepy“!

Weißt du noch, wie spät es da war?

10 Uhr morgens oder so. Aber das kann auch nachts passieren. Alle haben die Möglichkeit nachts in mein Zimmer zu kommen.

Ist nachts schon einmal Personal in dein Zimmer gekommen? Gibt es gar keine Schlüssel für euch?

Nein, nachts habe ich das nicht erlebt, aber es kann passieren. Es gibt keine Schlüssel, du wohnst halt mit vier Leuten zusammen und die gehen raus und rein.

Hast du das Gefühl als Frau genug Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten zu haben? Habt ihr z.B. Rückzugs-„Areas“, die bloß für Frauen gedacht sind?

Nein das gibt es nicht. Eigentlich bin ich auch gegen eine solche Trennung zwischen Frauen und Männern. Aber andererseits bin ich auch dagegen, dass andere Männer einfach ins Zimmer kommen. Oder wenn ich zum Beispiel von der Dusche in mein Zimmer zurückkehren möchte, kommen Leute vorbei, also viele Männer, die dann „gucken“. Das ist gar nicht bequem für mich. Oder wenn ich meine Kleidung im Zimmer wechseln möchte und jemand geht aus dem Zimmer ohne die Tür hinter sich zuzumachen. Das ist einfach kein Privatleben.

Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung aus?

Ich habe bisher zwei Impfungen bekommen, die mir empfohlen worden sind. Das ist also ok.

Wie empfindest du das Personal in der Siekhöhe?

Das Personal ist eigentlich nett.

Wie ist das Verhältnis zu den die Mitarbeitenden des Security-Unternehmens?

Die sind nicht nett. [Überlegt kurz]. Na klar sie sind „nett“, aber weißt du, sie, sie… [überlegt länger], wie kann ich das erklären? Egal, Security ist Security. [Macht eine längere Pause] Ich weiß nicht, also sie denken so: Wir arbeiten hier die ganze Nacht und vielleicht kriegen wir etwas von einer Frau oder wir können mit einer Frau [überlegt kurz] etwas machen.

Würdest du sagen, dass die Mitarbeiter  der Security sich übergriffig und grenzüberschreitend verhalten? Kommt es z.B. zu unerwünschten Berührungen?

Nein, das nicht. Aber viele Frauen suchen den Kontakt. Sie wohnen in einem Flüchtlingsheim und erhoffen sich dabei, dass vielleicht „ein Papier“ dabei raus springt oder dass ihnen mit Geld geholfen werden kann. Ich habe das nicht selbst erlebt aber bei anderen Personen. Außerdem habe ich noch etwas anderes zu sagen. In der Nähe der Unterkunft gibt es häufig Truck-Fahrer, die dort auch übernachten sowie andere PKW-Fahrer. Sie sprechen Frauen teilweise auch aus den Autos heraus an oder belästigen sie mit Sprüchen und Gesten. Alles kann passieren.

Das ist erschreckend. Welche Auswirkungen hat die Lage der Unterkunft noch für dich? Hast du eine gute Nahverkehrsanbindung in die Innenstadt?

Ja, mit dem Bus dauert es nur 20 min. Aber du brauchst einfach ein Fahrrad. Wir müssen das Busgeld selber bezahlen und das ist einfach zu teuer.

Ihr bekommt also kein Busticket oder Ermäßigung?

Nein. Vielleicht gibt es so etwas. Aber mir haben sie so etwas nicht gegeben.

Gibt es in der Unterkunft Bildungsangebote, z.B. Sprachkurse?

Ja, es gibt zwei oder drei Lehrer.

An wen wendest du dich, wenn es zu Streit oder Konflikten in der Unterkunft kommt? Und werden bei Problemlösungen auch deine Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt?

An die Security – oder ich versuche, wenn möglich, meine Probleme alleine zu lösen. Ich habe eher das Gefühl, dass meine Bedürfnisse verstanden werden. Aber das kann auch daran liegen, dass ich ganz gut deutsch sprechen kann. Ich weiß nicht, wie es für andere Mitbewohner ist.

Wie sieht  deine Freizeitgestaltung aus?

Ich habe den ganzen Tag frei! [Lacht] Naja, Angebote gibt es. Die wenigsten befinde ich als interessant für mich. Es gibt dienstags ein paar Frauen, die kommen, um Cafe und Kuchen mit uns zu essen. Aber dabei habe ich selbst noch nicht mitgemacht.

Was würdest du dir allgemein gerne an Verbesserungen in der Unterkunft wünschen?

Ich weiß nicht, was man bezüglich der größten Probleme verbessern kann. Selbst, wenn es eine Decke über den Zimmern geben würde, wäre es dort immer noch schlecht bei 130 Personen,  die immer noch in der einen selben Halle wohnen. Das finde ich persönlich einfach nur schlecht.

Vielen Dank, dass du dir heute Zeit für die Fragen genommen hast.

 

 

 

 

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